Irgendein Arm ist immer oben. Drittklässlerin Alisa ist mit ihrem Füller-Diplom fertig, Zweitklässler Emre mit der Übung zu Wörtern mit "Sp". Weil jeder Schüler an einer anderen Aufgabe arbeitet, kommt Lehrerin Lena Hahn mit dem Korrigieren kaum hinterher.
Hahns Schule, eine Grundschule in Neukölln, setzt JüL um: jahrgangsübergreifendes Lernen. Die rot-rote Berliner Koalition führte JüL vor sechs Jahren ein, um Grundschülern ein individuelles Lernen zu ermöglichen, jedem entsprechend seinem eigenen Lerntempo. Die ersten beiden Klassen sollen gemischt werden oder, noch besser, gleich die ersten drei Klassen. Etwa zehn Prozent der Berliner Schulen haben sich geweigert, das umzusetzen.
Hahns Schule nicht, sie hat JüL ausprobiert. In Mathematik und Deutsch schummeln die Lehrer inzwischen: Sie teilen die Klasse, damit nur noch zwei Altersstufen gemeinsam üben statt drei. Hahn sagt, so kann es funktionieren. Die meisten ihrer Kollegen sind anderer Meinung: Sie wollen JüL wieder loswerden. Als Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) die Pflicht zur Jahrgangsmischung nach fünf Jahren lockerte, beantragten 78 Schulen, sie abzuschaffen – 20 davon in Neukölln. Sie mussten darlegen, wie sie ihre Schüler stattdessen individuell fördern wollen. Manche schreckten deshalb vor dem Antrag zurück – wie Hahns Schule.
Dass JüL funktionieren kann, beweisen andere Schulen. Kritiker bemängeln aber, es fehle vielen Schulen an Personal, um das Konzept sinnvoll umzusetzen. Es ist nicht die einzige umstrittene Reform der rot-roten Regierung. Wäre Berlins Bildungswesen ein Gebäude: In den vergangenen zehn Jahren wäre kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion, zählt ganze 23 Reformen. Da ist die Integrierte Sekundarschule (ISS), in der Haupt- und Realschule zusammengefasst wurden und die auch zum Abitur führen kann. Die Einschulung mit fünfeinhalb bis sechseinhalb Jahren. Der Ethik-Unterricht. Das Pilotprojekt Gemeinschaftsschule: 20 Schulen, in denen Kinder von der ersten Klasse bis zum Abschluss gemeinsam lernen . Und weil eine UN-Resolution umgesetzt werden muss, wird die Inklusion bald auch in Berlin ein Recht für alle Schüler werden, das heißt: Kinder mit Behinderung müssen einen Platz in einer Schule mit nicht behinderten Kindern bekommen.
Kommentare
MaxData
#1 — 16. September 2011, 17:32 UhrHaben die Schulreformen was gebracht?
Was am meisten interessiert hätte: haben die Schulreformen in der Leistung der Schüler was bewegt? DAS ist doch die spannende Frage.
Berlin hat grottenschlechte Schülerleistungen, die im Vergleich zu Löndern wie BAWÜ und Bayern einfach schwach wirken. Das jahrgangsübergreifende Lernen wöre mir persönlich viel zu stressig, als Schüler und als Lehrer-ist aber eine persönliche Meinung. Trotzdem die Frage: haben die Schulreformen die Leistungen der Schüler vorangebracht?
Anne-Sophie Lang
#1.1 — 16. September 2011, 19:01 UhrErgebnisse der Reformen und JüL
Hallo MaxData,
für gesicherte Ergebnisse ist es schlicht noch zu früh. Die Integrierten Sekundarschulen beispielsweise gibt es ja erst seit einem Jahr. Im "Bildungsmonitor 2011" der "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" lag Berlin wie gehabt auf dem letzten Platz, die Daten stammen aber aus dem Jahr 2009.
Zu JüL: Viele Lehrer, die aus dem JüL-Programm aussteigen wollen, sind der Meinung, dass die personelle Ausstattung nicht reicht, um es erfolgreich umzusetzen - auch solche, die grundsätzlich für das Konzept sind. Gerade aus Schulen, die ohnehin viele Schüler mit Nachholbedarf etwa in der deutschen Sprache haben, hört man, dass sich Probleme im Zuge der Altersdurchmischung potenzierten und dass die Älteren die Jüngeren nicht wie erhofft "mitzögen". Aber das lässt sich natürlich nicht verallgemeinern: An anderen Schulen klappt JüL ganz wunderbar.
Beste Grüße
Anne-Sophie Lang
MaxData
#2 — 16. September 2011, 17:36 UhrDer Artikel beantwortet wesentliche Fragen nicht
Noch eine Frage: Sie schreiben etliche Schulen wollten JüL wieder loswerden. Warum? Es hötte mich interessiert warum Lehrkräfte gegen JüL sind?
heathcliff
#2.1 — 16. September 2011, 18:17 UhrSteht doch im Artikel drin
Z.B. im ersten Absatz: "Weil jeder Schüler an einer anderen Aufgabe arbeitet, kommt Lehrerin Lena Hahn mit dem Korrigieren kaum hinterher".
Und dann in Absatz 4: "Dass JüL funktionieren kann, beweisen andere Schulen. Kritiker bemängeln aber, es fehle vielen Schulen an Personal, um das Konzept überall sinnvoll umzusetzen."
Übersetzt bedeutet das doch nichts anderes, als dass es manche Lehrer (bei der jetzigen Unterbesetzung) als zu stressig empfinden.
abc...
#3 — 16. September 2011, 20:29 Uhrgebraucht werden Niederschwellige Bildungsangebote
breit gefächert,
von der Wiege bis zur Bahre -
OHNE
jedweiligen Diskriminierungen !
arinari
#4 — 16. September 2011, 20:45 UhrReformen
Die Schulen werden totreformiert...jeder Experte will sich profilieren und eine neue Pädagogikideologie durchsetzen. Das schimme ist daran, dass die sog. Experten meistens nur Theoretiker sind und keine Ahnung haben, was sich in einer Klasse abspielt. Schon das Wunschdenken , dass die guten die schlechten hochziehen, ist eine solche dreiste Lüge oder zeugt von Ahnungslosigkeit, die mich schon immer zornig gemacht haben. Ich unterrichte seit 35 jahre im Gymnasium. Das Niveau sinkt auch dort, weil die Bürokratie und die sog. Reformen uns das Leben schwer machen. Unworte sind: Reformen, Studien, Experten, classroom- management, gemeinsames Lernen, Inclusion... u.s.w.