Die ukrainische Armee hat nach Kiew eine zweite wichtige Schlacht gegen die russischen Invasoren gewonnen, den Kampf um die Stadt Charkiw im Osten der Ukraine. Nach einer Mitteilung des ukrainischen Militärs ziehen die russischen Truppen ab, die seit Wochen versucht hatten, Charkiw zu erobern.
Noch immer wird die Stadt mit Artillerie und Bombern beschossen, aber die Einheiten am Boden wurden von den Verteidigern zurückgedrängt und ziehen sich zurück. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte in seiner abendlichen Videoansprache, im Laufe des vorangegangenen Tages seien sechs ukrainische Städte und Dörfer in der Region zurückerobert worden. Auch westliche Beobachter bestätigen, dass Russland einen geordneten Rückzug an dieser Front versucht.
Erneut hat die russische Armee damit eines ihrer erklärten Kriegsziele nicht erreicht.
Charkiw war seit Kriegsbeginn Ziel eines starken russischen Vorstoßes. Die zweitgrößte ukrainische Stadt liegt näher an der Grenze zu Russland als jede andere Großstadt des Landes. Historisch betrachtet Russland sie als Eigentum – von dort aus schlugen sowjetische Truppen in der Zeit des Ersten Weltkriegs den Versuch nieder, in Kiew eine eigenständige Republik zu gründen. Das liegt lange zurück, doch nahm Wladimir Putin in einer seiner Äußerungen zum Krieg Bezug darauf.
Bereits nach wenigen Kriegstagen waren russische Einheiten in die Stadt eingedrungen, ununterbrochen wird das Stadtgebiet außerdem seit Kriegsbeginn bombardiert. Die Bevölkerung lebt seit Wochen in Kellern und U-Bahnschächten. Hunderte Menschen wurden getötet, Tausende Gebäude zerstört.
Seitdem aber konnten ukrainische Soldatinnen und Soldaten die Angreifer immer weiter zurückdrängen. Anfang Mai wurden die ersten östlichen Vororte zurückerobert, vor einigen Tagen leisteten die russischen Angreifer den Ukrainern kaum noch Gegenwehr. Inzwischen kontrolliert die Ukraine wieder das gesamte Gebiet um die Stadt.
Dass sie Charkiw nicht erobern konnte, ist aber nicht nur ein symbolischer Verlust für die russische Armee.
Einkesselungsversuch scheint fast gescheitert
Für seine Vormarschpläne ist das russische Militär auch auf die Eisenbahnverbindungen in der Ukraine angewiesen. Nur über sie könnten die Angreifer schnell vorstoßen und vor allem den Nachschub für die Truppen schnell liefern. Das schwierige Gelände und die begrenzten Transportkapazitäten per Lkw sind große Probleme für Russlands Militär. Charkiw ist ein wichtiger Knotenpunkt der Eisenbahn. Die Kontrolle darüber hätte den russischen Versuch, ukrainische Truppen im nahen Donbas einzukesseln, sehr gestärkt.
Der Rückzug zeigt daher auch, wie kritisch die Lage für Russland ist. Er scheint auch dazu zu dienen, die abziehenden Truppen zu verlegen, um die an dem Einkesselungsversuch beteiligten Bataillonsgruppen zu verstärken. Die kämpfen noch immer an mehreren Punkten wie Isjum und bei Sjewjerodonezk, um die ukrainischen Stellungen dort zu durchbrechen. Bislang ist ihnen das nicht gelungen. Dass Charkiw aufgegeben wird, lässt den Eindruck entstehen, als sei auch der Einkesselungsversuch nahezu gescheitert.
Das Institute for the Study of War (ISW) vermutet bereits, dass Russland auch seinen Versuch, von Isjum aus vorzurücken, aufgeben könnte.
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Kommentare
Der_Oldenburger
#1 — vor 2 WochenWie es scheint, konnte Russland der erfolgreichen Eroberung von Popasna keinen weiteren Ausbruch aus dem Süden zur Einkesselung hinzufügen. Es darf gehofft werden, dass die Ukraine mit dem Eintreffen moderner Artillerie eine Überlegenheit auch auf diesem Sektor herstellen kann. Dazu braucht es aber noch die Sicherung durch mobile Flugabwehr. Stellt sich die Frage, ob das unsägliche schweizer Veto, durch Abgabe der Munition an eine dritte Partei umgangen werden kann. Die Schweiz muss sich langsam fragen lassen, ob sie durch ihre Pseudo-Neutralität weiter Russland helfen will.
Harzzach
#1.1 — vor 2 WochenDie Gepards sind nice to have, aber nicht kriegsentscheidend. Ihre Abwesenheit kann verkraftet werden. Die russische Luftwaffe hat so schon erheblich Mühe im ost-ukrainischen Luftraum Einsätze zu fliegen OHNE abgeschossen zu werden.
Ansonsten fragen Sie lieber den Hersteller des Gepards, Krauss-Maffei, der den Ukrainiern zuerst vollmundige Versprechungen gemacht hat, ohne überhaupt sichergestellt zu haben, dass man nicht-existente Munition aus der Schweiz nachbeziehen kann.
Maximos
#2 — vor 2 WochenRespekt an die ukrainische Armee. Man kann nur hoffen dass Putin diesen Krieg auch militärisch eindeutig verliert.
DingoEurope
#2.1 — vor 2 WochenKorrekt.
Die Ukraine sollte nun die Eisenbahnverbindung östlich von Charkiw und das Logistikzentrum Bologograd attackieren. Dann können sie die Truppen zwischen Charkiw und Luhansk quasi ausbluten lassen.
Chang11
#3 — vor 2 WochenWenn Charkiw dauerhaft gehalten werden kann - wonach es jetzt wohl aussieht - ist das wirklich ein außerordentlich großer Gewinn für die ukrainische Seite. Nicht nur hat das Land seine zweitgrößte Stadt verteidigt, noch dazu die größte überwiegend russischsprachige, sondern es hat dies auch direkt in der Nähe der russischen Grenze getan, wo die russische Armee also keine so großen Logistikprobleme haben dürfte. Es ist auch ein gutes Zeichen für die nächstgrößeren gefährdeten Städte Odessa, Saporischschja, Dnipro und Krywyj Rih, für die eine russische Eroberung unwahrscheinlicher geworden ist.
smooki
#3.1 — vor 2 WochenDas sehe ich auch, die Versorgung der restlichen Truppen wird für Russland bald deutlich schwerer. VOr allem, wenn man bedenkt, dass die Panzer Produktion wegen Materialmangel gestoppt wurde, wird es wohl so aussehen das Russland den Abnutzungkampf verliert. Ebenfalls hat Russland kaum noch Lenkgesteuerte Raketen.
Wenn man sich die aktuellen Videos anguckt und sieht wie die Helis und Migs schießen, und wie tief sie fliegen müssen, dann schießen die die Raketen ab, als wären es balistische Waffen. Das Russland damit, wie häufig gesagt, damit irgendwas trifft vor allem strategisch wichtige Ziele, kann bezweifelt werden. Vor allem wenn man bedenkt, das 70 der 90 Haubitzen schon an der Front sind, treffen die höchsten die aufgestellten Pappkamaraden.
Zox
#4 — vor 2 WochenWunderbare Nachrichten. Ich hoffe, dass der Tag der vollständigen Befreiung von den imperialistischen Invasoren nicht mehr fern liegt.
Besonderer Dank der Ukrainer gilt wohl denjenigen, die rechtzeitig Waffen geliefert haben, um die Menschen vor den sonst zu erwartenden Massakern wie in Butscha oder Mariupol zu schützen.
Der_Oldenburger
#4.1 — vor 2 WochenD.h. also nicht der Regierung Scholz.