In der kommenden Woche steht die Zukunft der europäischen Sicherheitsordnung im Mittelpunkt der internationalen Politik. Diplomaten Russlands und der Vereinigten Staaten treffen sich am Montag in Genf; die Nato plant für Mittwoch ein Treffen des Nato-Russland-Rats; am Tag danach folgt ein Treffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Bei diesen drei Zusammenkünften wird es um die russischen Forderungen nach einer Revision der europäischen Sicherheitsarchitektur gehen, wie sie seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes besteht.
Dazu hat Russland im Dezember konkrete Vertragsvorschläge für ein Sicherheitsabkommen mit den USA und der Nato unterbreitet: Die Regierung Biden und die anderen Nato-Mitglieder sollten sich darin verpflichten, weder die Ukraine noch andere ehemalige Sowjetrepubliken als Mitglieder aufzunehmen. Die Allianz solle zudem ihre militärische Infrastruktur in Osteuropa auf den Stand von 1997, das Jahr des Abschlusses der Nato-Russland-Grundakte, zurückführen.
Würden diese Vorschläge umgesetzt, entstünde nicht nur eine sicherheitspolitische Pufferzone mit einem Status verminderter Sicherheit im östlichen Teil des Bündnisgebietes. Es bedeutete die Grundlage für die Rückkehr zu einer europäischen Staatenordnung, in der große Mächte unter Verweis auf historische Ansprüche und vermeintliche Bedrohungswahrnehmungen exklusive Einflusszonen beanspruchen könnten. Die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts bietet reiches Anschauungsmaterial für die fatalen, destabilisierenden Folgen einer solchen Großmachtpolitik unter Missachtung der Wünsche der betroffenen Länder.
Russland will zurück zum geopolitisch motivierten Großmachtdenken
Dabei halten Behauptungen, die existierende Friedensordnung für Europa sei überholt, keiner seriösen Überprüfung stand: Die Charta von Paris vom November 1990 garantiert (auch mit der Zustimmung der damals noch existierenden Sowjetunion) nach wie vor die territoriale Integrität aller Teilnehmerstaaten, bekräftigt das Bekenntnis zum Gewaltverzicht und erklärt "gleiche Sicherheit" für alle zum Grundprinzip der Sicherheit in Europa. Zahlreiche Abkommen zur Vertrauensbildung, Abrüstung und Rüstungskontrolle sind Ausdruck dieses Konsenses geworden. In diesem Sinne bieten Elemente der russischen Vorschläge zur Rückbesinnung auf militärische Transparenzregelungen oder zu spezifischen regionalen Vereinbarungen über die Nicht-Stationierung bestimmter Waffensysteme interessante Anknüpfungspunkte.
Der Großteil der russischen Vorschläge reflektiert jedoch eine Renaissance des geopolitisch motivierten Großmachtdenkens. Was Europa insbesondere besorgt stimmen sollte: Die Regierung Biden leistet diesem Epochenbruch zumindest in formaler Hinsicht auch noch Vorschub, denn die USA und Russland diskutieren auf der Genfer Hauptbühne die Konturen einer europäischen Sicherheitsordnung ohne die Beteiligung der Europäer.
Da tröstet es wenig, dass die Regierung Biden sich erfolgreich darum bemüht hat, den amerikanisch-russischen Dialog durch die Treffen der Nato beziehungsweise der OSZE zu multilateralisieren. Dass diese Gespräche lediglich symbolische Bedeutung besitzen, ist offensichtlich, und dass von ihnen genuin europäische Impulse ausgehen werden, ist nicht zu erwarten. Einer der wenigen europäischen Politiker, der dieses Defizit erkannt und öffentlich eine stärkere europäische Rolle gefordert hat, ist der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell gewesen. Doch in Fragen der Sicherheitspolitik ist das Gewicht der EU zu schwach, um Gehör zu finden.
Kommentare
pipeline82
#5 — vor 6 MonatenDer Massenauftrafsmörder und Kleptokat Putin testet gern die Grenzen. Sobald die Nato die Ostgrenze aufgibt, ist sie erledigt.
Albert 3
#5.1 — vor 6 MonatenKönnen sie diese Aussagen belegen ?
Albert 3
#6 — vor 6 MonatenUkraine-Konflikt
"Hilflos zwischen den Mächten " wieso hilflos ?
Warum setzt Selenskji sein Dekret vom März 2021 nicht um ?
"Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj hat am Mittwoch den Beschluss des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine (RNBO) über „Die staatliche Strategie zur Deokkupierung und Reintegration der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol“ in Kraft gesetzt.
Ein entsprechendes Dekret wird auf der Webseite des Staatschefs veröffentlicht."
https://www.ukrinform.de/rub…
Die Strategie umfasst diplomatische, militärische, wirtschaftliche, informationelle, humanitäre und andere Maßnahmen, die auf die Wiederherstellung der territorialen Integrität, der Souveränität der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen durch die Deokkupierung und Reintegration der Krim gerichtet sind. Die Strategie setzt Prioritäten des Staates für den Schutz der Rechte und Freiheiten der Menschen, die durch die vorübergehende Besetzung der Halbinsel Krim verletzt wurden, sowie bestimmt Hauptrichtungen der entsprechenden Sozial-, Wirtschafts-, Informations-, Umwelt-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik sowie der humanitären Politik, heißt es.
Und warum setzt er sein Dekret nicht um , hat doch viele Unterstützer der Krim " Plattform "
https://www.ukrinform.de/rub…
einreh
#6.1 — vor 6 MonatenEntfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/at
pierissimo
#7 — vor 6 MonatenEgal ob sich Russland mit seinen abstandshaltenden Forderungen bezüglich der NATO-Zugehörigkeiten seiner unmittelbaren Nachbarn durchsetzen würde(was ich nicht glaube) oder ob der Westen die russischen Vorstellungen abweist und die Russen dann militärisch in Teilen der Ukraine intervenieren, das Opfer wird immer dieses Land sein.
Hinter dem Gezerre um die Ukraine und seiner bedauernswerten Bevölkerung stehen auch geostrategische Interessen. Die USA würden gerne auf dem Schauplatz Europa den Rücken frei haben und da wäre eine NATO-Präsenz in der Ukraine natürlich ein wichtiger Machthebel, denn aus reiner Menschenfreundlichkeit machen auch die USA nichts, weil der tatsächliche Gegner in naher Zukunft China ist.
Dass Europa bei diesem Machtpoker nur zugucken, aber nicht mitentscheiden darf, hat sich die unentschlossene und uneinige EU mit ihren nationalen Eigenbröteleien selbst eingebrockt. Ein wohl unvermeidbarer neuer Konflikt in der Ukraine mit den härtesten ökonomischen Sanktionen gegen Russland wird keinen Frieden schaffen, sondern nur die Allianz zwischen Russland und China stärken. Für Europa insgesamt schlechte Aussichten was den Frieden auf unserem Kontinent, die Energiesicherheit und die wirtschaftliche Entwicklung angeht.
Mercator1
#7.1 — vor 6 MonatenEine Allianz zwischen Russland und China bräuchten wir nicht zu fürchten. Da ist Russland der schwächere Partner, er hat China gegenüber nicht viel zu bieten. Und das weiß Putin auch. Die Zeit läuft hier gegen ihn.
Egoldr
#8 — vor 6 MonatenWeniger einseitig wäre der Artikel, würde er der USA ebenfalls aktive Großmachtansprüche zuschreiben.
Das haben offenbar die Europäer und die EU im besonderen nicht getan. Sie glaubten offensichtlich, sie wären für die USA ein gleichberechtigter Partner.
Wie man erkennt ist das nicht der Fall.
Aber das ist nur ein Versäumins der EU: Sie haben ja auch Putin und Rußland als Verhandlungspartner im Zuge der Ost-Erweiterung der EU und einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen EU-Rußland abgelehnt, ignoriert.
Dass die EU-Ostpolitik Interessen Rußlands tangiert, ist objektiv nicht zu bestreiten.
Aber man glaubte, autonom gegenüber Rußland handeln zu können - die USA würden das schon billigen (natürlich soweit das eigene Interessen der USA nicht tangiert).
Die Versäumnisse einer vernünftigen EU-Außenpolitik, zu der Russland als Verhandlungspartner immer gehören müsste - schließlich grenzt die EU an Russland, haben wir jetzt zu tragen.
Die EU und D sitzen nun - wenn überhaupt - am Katzentisch, wenn Putin und Biden verhandeln.
Ein Rückfall gegenüber der Außenpolitik von Brandt/Bahr....... obwohl es viele Mahner gab (z.B. Irschinger).
Erbärmlich!
einreh
#8.1 — vor 6 Monaten"Die Versäumnisse einer vernünftigen EU-Außenpolitik, zu der Russland als Verhandlungspartner immer gehören müsste - schließlich grenzt die EU an Russland, haben wir jetzt zu tragen."
Von Kongfu ist eine Weisheit überliefert die perfekt auf die Außenpolitik der EU zutrifft
„Es gibt drei Arten zu Lernen –
Durch Nachdenken – das ist das Edelste.
Durch Nachahmen – das ist das Leichteste.
Durch Erfahrung – das ist das Bitterste.“
Erfahrungen hat die EU zwischenzeitlich reichlichst machen dürfen.