Viele Städte leiden unter dem zunehmenden Verkehr und den Problemen, die er mit sich bringt. Was unternehmen Großstädte, damit der Verkehr in ihren Zentren besser und sauberer wird? Und wie erfolgreich sind sie damit? Wir werfen in unserer Serie einen Blick auf Metropolregionen in ganz Europa.
Der Streit
eskaliert ausgerechnet da, wo Prag am bezauberndsten ist: am Platz der Republik, wo
sich in schönstem Jugendstil das Gemeindehaus erhebt. Oder auf dem Altstädter
Ring, wo sich zu jeder vollen Stunde eine Menschenmenge vor der historischen Aposteluhr
versammelt. Hier, an zentralen Orten mitten in der Prager Altstadt, soll
künftig das Radfahren verboten werden. Für die Stadt ist das nicht weniger als
eine Frage der Sicherheit von Fußgängern. Für viele Verkehrsexperten ist es
dagegen ein Rückschritt in die Steinzeit der Verkehrsplanung.
Vratislav Filler
verdreht die Augen, wenn die Rede auf das Radfahrverbot kommt. "Das ist eine
völlig falsche Entscheidung", sagt er und breitet einen Stadtplan vor sich aus.
Filler sitzt in seinem Büro ein paar Schritte entfernt vom berühmten
Wenzelsplatz, er leitet die Abteilung für Stadtentwicklung beim Verein auto*mat, der sich für eine ausgewogene Verkehrspolitik einsetzt und vor
allem der in Tschechien traditionell starken Autolobby etwas entgegensetzen
will. "Schauen Sie", sagt Filler und
fährt mit dem Finger über den Stadtplan, "so verlaufen die wichtigen Radtrassen
durchs Zentrum". Ausgerechnet auf diesen Hauptwegen will die Stadt nun die
Fahrräder verbieten. "Wir haben Kompromisse vorgeschlagen, wir haben
verhandelt, wir haben dagegen geklagt, aber sie beharren auf ihrer Idee", sagt
Vratislav Filler.
Kaum Alternativen für Radfahrer
Sie, das sind
die Mitarbeiter der Stadtverwaltung. Als Schutz der Fußgänger vor den
Radfahrern wollen sie jetzt Radverbote aussprechen. Die entsprechenden Schilder
müssen nur noch aufgehängt werden: Zwischen 10 und 17 Uhr dürfen Radler demnach
nicht mehr in Fußgängerzonen einfahren. Die Einschränkung wiegt schwer, denn als
Fußgängerzone sind weite Teile der Altstadt eingestuft – große Bereiche des
Wenzelsplatzes, dem breiten Boulevard. Oder der Platz der Republik, über den im
Minutentakt Straßenbahnen und Linienbusse fahren. "Da wäre reichlich Platz für
Radfahrer", urteilt Vratislav Filler. Wichtig sei, dass Radfahrer kaum
Alternativen hätten. Die engen Altstadtgassen bieten selbst für Einbahnstraßen
kaum ausreichend Platz, und auf den Hauptverkehrsstraßen fehlen Fahrradwege.
Tempolimit für Radfahrer
Weil Filler weiß, dass sich farblich markierte Radspuren so schnell nicht umsetzen lassen, hat er als Kompromiss am Ende gar ein Tempolimit für Radler von zehn Stundenkilometern vorgeschlagen. Die Stadt aber bleibt bei ihrer ablehnenden Haltung: "Fahrräder sollten vor allem am Rande der Stadt fahren, in der Natur", sagt eine Sprecherin des Prager Innenstadtbezirks – und macht damit deutlich, woran in der Prager Verkehrsplanung vieles krankt: Fahrräder werden vor allem als Sport- und Freizeitgeräte gesehen und nicht als Verkehrsmittel für den Alltag.
Das ist das eine Gesicht der Stadt, wenn es um die Verkehrsplanung geht. Prag hat aber auch noch ein anderes: Der öffentliche Nahverkehr landet regelmäßig bei weltweiten Vergleichen auf Spitzenplätzen, besser als in vielen deutschen Städten. Tatsächlich schlängeln sich die Straßenbahnschienen durch die gesamte Altstadt, die nächste Haltestelle ist oft nur wenige Meter entfernt. Die drei U-Bahnlinien binden vor allem die großen Plattenbausiedlungen am Rande der Stadt an und fahren zu den Stoßzeiten im Abstand von anderthalb Minuten. Gerade bei den Straßenbahnen sind in den vergangenen Jahren die meisten robusten Oldtimer aus Ostblockzeiten ausgemustert und gegen moderne, barrierefreie Wagen getauscht worden.
Kommentare
CareBear
#1 — 24. Juni 2018, 18:22 UhrIch halte die Entscheidung für gut und richtig. Wenn es in Prag nur halb so irre zugeht wie in Deutschland, ist das nicht nur eine erhebliche sicherheitssteigerung für die Fußgänger, sonder auch für Auto- und lkw-fahrer und auch nicht zuletzt Schutz der Radler vor sich selber. Täglich kann man beobachten, wie fröhlich durch Fußgängerzonen geballter wird, Verkehrszeichen gelten nur für Autos, das selbe mit Ampeln, es wird auf der falschen gehwegseite gefahren, etc pp. Und wenn dann was passiert, ist das mimimi wieder groß und alle sind schuld, nur der Radfahrer nicht.
Prag macht einen guten Schritt voran und wird, hoffentlich, auch im Ausland Nachfolger haben.
FloMei
#1.1 — 24. Juni 2018, 18:33 UhrPrag ist schon jetzt eine Verkehrshölle. Wenn man mit dem Touribus rund um die Altstadt fährt, steht man schon jetzt im Dauerstau. Die Altstadtfußgängerzonen innerhalb des Rings täuschen darüber hinweg. Den Radverkehr zu schwächen bedeutet zudem immer mehr Verkehrsunfallopfer in Kauf zu nehmen. So effizient wie das Automobil in der Tötung von Fußgängern wäre das Fahrrad nicht einmal, wenn dort nur geistig Umnachtete drauf säßen, was keineswegs der Fall ist. Die Niederlande mit hohem Radverkehrsanteil zeigen das. Das Automobil verursacht Lärm, schlechte Luft, Unfallleid und ist ungeheuer raumgreifend: Auf einem PKW-Stellplatz kann man locker acht Fahrräder unterbringen, in eine Straßenbahn passt ein ganzer Verkehrsstau. Diese Politik ist für eine historische Stadt wie Prag ein Debakel.
NoG
#2 — 24. Juni 2018, 18:30 Uhr"Zwischen 10 und 17 Uhr dürfen Radler demnach nicht mehr in Fußgängerzonen einfahren."
Das ist hierzulande nicht anders. Hält sich bloß nicht jeder daran.
Die Prager Altstadt ist im übrigen kaum geeignet für Radfahrer. Zu eng, viele Menschen bzw Touristen, Straßenbahnen...
FloMei
#2.1 — 24. Juni 2018, 18:35 UhrDie Altstadt von Amsterdam ist auch eng. Fahrräder sind viel platzsparender als die Blechlawine am Altstädter Ring.
Ziegenmensch
#3 — 24. Juni 2018, 18:35 UhrEntfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/as
pusteblume666
#3.1 — 24. Juni 2018, 19:04 UhrDer Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
FriendlyGrizzly
#4 — 24. Juni 2018, 18:35 UhrRadfahrer in Fußgängerzonen sind oft die Pest.
Obwohl selbst auch Radfahrer, ist mir das Gebaren vieler Radler zu aggressiv, rücksichtslos.
Wenn dann noch die Infrastruktur für Radfahrer ungeeignet ist, wird halt per Verordnung für Ordnung gesorgt. In diesem Fall zu Ungunsten der Radler.
C’est la vie.
alsti
#4.1 — 24. Juni 2018, 18:41 UhrAlles richtig, wenn es um einzelne Abschnitte innerhalb der Stadt geht. Wenn aber ein ganzer Stadtteil für den Radverkehr gesperrt werden soll, ist das ungefähr so, als würde man die Autobahn sperren, weil es RaserInnen gibt, die sich nicht ans Tempolimit halten...