Er ist der größte und langlebigste Popstar, den dieses Land
hervorgebracht hat. Man kann ihn
sofort an seiner Silhouette erkennen und an seinen wesentlichen
Styleelementen, seiner Brille und seiner Frisur, da muss er noch nicht einmal singen: Heino, klar. Ende der Sechzigerjahre war er der erste komplett durchdesignte
Star, der in Deutschland erfunden wurde; eine absolut künstliche Existenz, die sich zugleich erfolgreich mit
der Aura einer unbedingten Authentizität zu
umgeben verstand. Er wirkt wie ein Comiccharakter, flach und abstrakt, bloß mit wenigen Strichen gezeichnet. Und doch ruft er eine musikalische Tradition auf, die von plastischer Echtheit,
mythischer Ferne und Tiefe spricht.
Heino ist ein erfolgreich operationalisierter
kultureller Widerspuch, eine Schizofigur; und schizoid sind auch die
Reaktionen, die ihm entgegengebracht werden: Begeisterung und ironische
Begeisterung, Hass und Selbsthass und Verzweiflung über die Verhältnisse,
die einen wie ihn hervorbringen können.
Heino ist der lebendige Riss durch die deutsche Gesellschaft. Wenn man seine
Fans und seine Gegner betrachtet, dann versteht man, warum die Polarisierung,
von der wir gegenwärtig so gern reden, warum
der Unterschied zwischen den "Metropolen" und der "Peripherie", den Eliten und den Verwurzelten seit Jahrzehnten
schon in den Fundamenten unseres kulturellen Gehäuses
knirscht.
Man kann in Heino eine singende Nemesis sehen oder, wie es der Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow einmal formuliert hat, die deutsche Version von Andy Warhol. Die Wahrheit ist, dass es zwischen diesen beiden Betrachtungsweisen keinen Unterschied gibt. Heino ist der Prototyp einer non-binären Kunstexistenz. In jedem Fall gab es in den vergangenen 50 Jahren wohl keinen anderen Sänger hierzulande, der so widersprüchliche, aber stets intensive Gefühle erzeugte wie er. In ihm verbinden sich Traditionalismus und Postmoderne in nicht unbedingt immer behaglicher Weise; aber es führt an der Erkenntnis kein Weg vorbei: Andere popkulturelle Nationen haben Michael Jackson, Prince und Madonna oder auch die Beatles, die Rolling Stones und die Sex Pistols. Wir Deutschen haben halt Heino, und wenn man verstehen will, was in den Untiefen des kollektiven Unbewussten bis heute rumort und gärt, dann muss man seiner entsubjektiviert bebenden Baritonstimme zuhören und den Blick in seine undurchdringliche schwarze Brille wagen. Heino ist die wandelnde Opazität.
Heute feiert der beliebteste
Sänger der Deutschen seinen 80. Geburtstag; mehr als 50 Millionen Platten hat Heinz-Georg Kramm seit
dem Beginn seiner Karriere als Solointerpret unter dem Namen Heino im Jahr 1967
verkauft. Insbesondere in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren war er ein echter Nationalkünstler: 1973, so hat damals eine Umfrage ergeben, wussten
98 Prozent aller Westdeutschen, wer er ist. Gerade auch in diesen Zeiten des
scheinbaren gesellschaftlichen Aufbruchs und der Veränderung hat Heino erfolgreich Musik für all jene Menschen gemacht, die eigentlich lieber
nicht so viel verändern und nirgendwohin
aufbrechen möchten. Wie man rückblickend
vielleicht schärfer als damals sieht, hat es sich dabei stets um die
Mehrheit gehandelt.
Das ZDF hat Heino zu seinem Ehrentag einen einigermaßen differenzierten
Dokumentarfilm gewidmet. Dieser umspannt die Zeit von seinem Karrierebeginn als
singender Bäckerslehrling in den frühen
Sechzigern über die großen
Erfolge als Volksmusikant bis zu seiner Neuerfindung als rockender Totenschädelringträger in
den letzten Jahren. Der Film spricht auch die immer wieder vorgebrachten Vorwürfe an, dass Heino in der Tradition schwarz-brauner
Deutschtümelei steht – und
zeigt zugleich, wie diese Vorwürfe an ihm und seinem
vollversiegelten Geschäftstüchtigkeitsgestus abperlen müssen: Wenn er solche moralisierenden Anfechtungen hört, sagt Heino, dann guckt er auf sein Bankkonto, und
sein Bankkonto gibt ihm recht. Darin unterscheidet er sich nicht im Geringsten
von den zynischen Gangsta- und Straßenrappern
der Gegenwart. Für die Generation von Bushido
und Kollegah ist Heino zumindest in seinem Handeln, seiner Ästhetik
und seinem Charakter der Prototyp.
Kommentare
MMAA
#1 — 13. Dezember 2018, 12:25 UhrWieso Abschied? In einer Talkshow sagte er doch gerade, dass er 2019 wieder auf Tournee geht.
matotope
#1.1 — 13. Dezember 2018, 12:33 UhrDas verhält sich so wie das ewig zu knappe Warenlager inner Internetkaufhalle.
Simplicio
#2 — 13. Dezember 2018, 12:29 Uhr"Mit ihm geht auch ein Teil dieses Landes."
Und ich bin nicht traurig drum.
Jahrzehnte öffentlicher, verlogener Heimattümelei in musikalisch einfallsloser Form haben ein Ende, oder doch nicht?
matotope
#2.1 — 13. Dezember 2018, 12:31 UhrNö, es finden sich da immer neue Einfaltspinsel, die den Part übernehmen. Wirkt sich ja auch positiv auf die Geldbörse aus
matotope
#3 — 13. Dezember 2018, 12:29 UhrUnd tschüss.
P.S. war Heino nicht auch in Ostdeutschland populär? Ich mein' das mal irgendwo gelesen zu haben.
Morrisson
#3.1 — 13. Dezember 2018, 12:40 UhrNur weil er immer zu gern seine braune Schlagseite gezeigt hat, war er in Ostdeutschland populär? Ich kenne hier keinen, der den gerne hört. Vielleicht bei den Truppen, die gerne Landserhefte lesen, aber mit denen habe ich auch weniger zu tun.
JuliusU995
#4 — 13. Dezember 2018, 12:30 UhrHeino war für mich immer der gehasste Onkel den man erst später im Leben langsam was abgewinnen konnte. Übrigens die Rocknummern fand ich bis heute richtig cool. Aber eben auf seine Art und Weise.
Aber ich kann mich auch noch die Nummer erinnetn wo er die Toten Hosen verklagt hat weil die ein Lied von ihm gecovert haben....
Der wahre, wahre Heino...https://www.youtube.com/watch?v=ghCx…
Was für ein Klamauk damals ;-)
HaMartens
#4.1 — 13. Dezember 2018, 17:47 UhrDas sieht man es wieder, über Geschmack lässt sich (nicht) streiten.
Ich fand besonders das Rock-Album unerträglich. Ein peinlicher Versuch des einschmeicheln bei der jungen Generation, die nicht wusste wer Heino ist.
An sich gute Lieder, durch den typischen Heino Klang mit zuviel Pathos und übertrieben rollendem R, zunichte gemacht.