Saarbrücken ist der Tatort, von dem man vergessen kann, dass es ihn gibt. Weil er so selten kommt, weil er mühsam sein kann. Aber nicht sein muss, wie die neue Folge Das Herz der Schlange (SR-Redaktion: Christian Bauer, Degeto-Redaktion: Birgit Titze) zeigt. Die ist die mit Abstand beste des neuen, nun zum dritten Mal auflaufenden Teams Hölzer (Vladimir Burlakov) und Schürk (Daniel Sträßer).
Wobei es ein lustiger Zufall ist, dass in Saarbrücken genauso wie in Münster letzte Woche ein Ermittler unter Drogen gesetzt wird, um aus Rache als Täter für einen Mord herzuhalten an einer todkranken Person (Drehbuch: Hendrik Hölzemann). Originalität ist eine treulose Tomate. Die Ausgestaltung des Musters lässt allerdings Variationen zu.
Kommissar Schürk wird hier in der entscheidenden Szene vom eigenen Vater mit einem Froschgift so aus dem Verkehr gezogen, dass Darsteller Sträßer größere Teile seines Dialogs in intensives Geröchel übersetzen muss. Fürs Zucken am Abzug langt der alte Schürk mit einem Stock hinüber, den er danach mit intensiv geübtem Wurf in den Kamin entsorgt. Wie man so abgefeimt sein kann, das eigen Fleisch und Blut in eine derart hinterhältige Sache zu verwickeln, kann die Betrachterin nur überraschen, wenn sie die ersten beiden Folgen in Saarbrücken geschwänzt hat.
Denn der furchtbare Schürk-Vater, den Torsten Michaelis zumindest als Zeitgenossen nun zum letzten Mal gespielt hat, lag erst 15 Jahre im Koma und wäre in der letzten Folge beinahe geopfert worden von den beiden Kommissarsfreunden, damit er nicht ausplaudert, wer ihn ins Koma befördert hat. Denn das war Hölzer, der nicht mehr mitansehen konnte, wie sein Freund Schürk vom eigenen Vater drangsaliert wurde. Nun wird dem, gemeinsam mit Onkel Boris (Stephan Bissmeier), eine kriminelle Geschichte angedichtet, die durch Raubüberfälle zu plötzlichem Reichtum geführt hat.
Das Herz der Schlange demonstriert ganz schön, dass selbst die grellsten Geschichten an Plausibilität gewinnen, wenn sie nur gut erzählt sind. In diesem Sinne nimmt sich der Tatort erst mal Zeit (Regie: Luzie Loose). Der Quatsch, den sich Schürk-Senior ausgedacht hat, um den eigenen Tod dem eigenen Sohn in die Schuhe zu schieben, klingt in aller Ruhe und Detailfreudigkeit dargelegt gleich viel überzeugender. Auch wenn oder gerade weil Torsten Michaelis am Ende doch sehr lauthals lachen muss über die Anordnung, die seine Figur sich da zusammengesponnen hat.
Dieses Tempo prägt den Film. Die Dialoge ziehen sich über mehr als drei Sätze und sie müssen nicht an Orten gesagt werden, die Action und Schauwert versprechen. Einmal dynamisiert die sich im Kreis drehende Kamera (Anne Bolick) das Zusammenkombinieren, das Hölzer und Pia Heinrich (Ines Westernströer) betreiben, wenn sie sich nur im Büro gegenübersitzen.
Oder jemand, vor allem Heinrich, isst während der Arbeit am Schreibtisch und der Zuschauer kann sich im fläzenden Asia-Imbiss-Nudel-Gezutsche wiedererkennen beim nicht immer vorbildhaften Einsatz der Manieren, die früher das Miteinander von Gesellschaft strukturieren sollten.
Es wird sogar Ermittlungsarbeit vermittelt, wenn Hölzer und Heinrich vom vielfach involviertem Gefängnispersonal sich schließlich zu einem Anwalt hin überlegen, bei dem alle Bewegungen des Falls zusammenlaufen. Dieser Jens Modall (Michael Rotschopf) ist keine uninteressante Erfindung für die Kriminalgeschichte, weil er von seinem Büro über den Dächern von Saarbrücken krumme Geschäfte als Beifang seiner bürgerlichen Anwaltstätigkeit versteht.
Den reichen Klienten jagt er die armen Schlucker, die er pro bono verteidigt, erst als Einbrecher ins Haus, um Kameras zu installieren, die Safe-Kombinationen und -Inhalte aufzeichnen. Und zugleich die Rechtsbrüche dokumentieren, die die Helfer erpressbar machen.
Wenn sich einer dieser Unterprivilegierten am Ende Kommissarin Baumann (Brigitte Urhausen) offenbaren will und den vorgeschlagenen Deal mit Wissen um den geringen sozioökonomischen Status dieses Delinquenten ausschlagen kann, dann fällt aus dessen Mund der Satz: "Wegen Leuten, die denken wie du, hat er Leute wie mich überhaupt in der Hand." Was eine ziemlich komplexe Vorstellung davon liefert, wie die in bürgerlichen Schichten gepflegte Sozialverachtung für arme Menschen deren Ausbeutbarkeit bedingt. Solche Erkenntnisgewinne produziert auch nicht jeder Tatort.
Das Herz der Schlange macht also Hoffnung. Die Folge
weist einen Weg, wie Saarbrücken etwas gegen
sein seit Jahren nicht so dolles Image tun könnte. Dafür spricht auch, dass
die beiden Frauen diesmal in ihren Rollen erkennbar werden und nicht nur als
Stichwortgeberinnen Füllmaterial für den Erklärtext des Tatorts liefern. Bei
den beiden Boys stehen die Zeichen auf Bromance – so zärtlich und tief ist
das alles, wenn Schürk am Ende aus der
Haft kommt und von Hölzer in den Arm genommen wird.
Leserkommentar Original-Kommentar anzeigen
Der war gut. Mir gefiel das Spiel von Daniel Sträßer min den ersten beiden Folgen dieses Teams nicht wirklich. Teilweise gut, war es mir zu sehr auf Maniac getrimmt, diesmal war es vielschichtiger. Ich hatte in der neuen Saarbrücken-Reihe auch schon eine Dortmund-Nummer befürchtet, in der das Gezicke im Team die Haupthandlung darstellt. Zu Unrecht, wie diese Folge gezeigt hat. Die Figur vom alten Schürk hätte noch Potential für mehrere Episoden gehabt. Torsten Michaelis hat ihn hervorragend gespielt. Aber besser, das kurz und knackig in zwei Folgen zu Ende zu bringen, als das einen nächsten Markus-Graf-Fortsetzungs-Roman ausarten zu lassen. Der auf diese Art inszenierte Selbstmord war schon etwas gewagt konstruiert, aber ein von Hass zerfressener, kranker Geist ist zu so etwas wohl fähig. Gut erzählt war es auch, die Symbolik mit Schlange und Frosch hat das nochmal verstärkt. Der alte Schürk und der Lehrer aus Folge zwei hatten als Bösewichte eine Qualität, an der sich andere Regisseure mal orientieren sollten. Bis jetzt das beste Team aus SB mit Potential nach oben.
Kommentare
heletz2
#1 — vor 4 MonatenSicher, ein Fernsehkrimi ist keine Doku, aber eine gewisse stringente Logik möcht‘ schon sein, damit man Freude dran hat?
Essen beim Asiaten und dann eine tote Asiatin.
Dann geht es weiterhin um die persönliche Geschichte und die Befindlichkeiten der Kommissare.
Im Fall spielt ein Wertschrank eine Rolle und im Privatleben eines Kommissars ebenfalls.
Wie immer, wenn ein PVB vor der Türe eines Krankenzimmers sitzt, weiß man, es wird schiefgehen. Wann wird dieser stereotype Unsinn endlich aufhören?
Und wieder ein Kommissar, der vollkommen ohne Logik handelt und gegen alles in der Ausbildung Gelernte. Ist das das Bild, das die Drehbuchautorinnen von Polizisten haben?
Und schon wieder ein Kommissar, der gegen dienstliche Weisungen handeln will.
Schon abgedroschen.
Ein Verwandter hat also hingekotzt. Weiß man zu welchem Zeitpunkt? Nein! Also warum die Erschütterung beim Kollegen?
Glaubt die Drehbuchschreiberin wirklich, ein LKA hätte nichts anderes zu tun als von sämtlichen Dienstwaffen Musterexemplare der Projektile zu archivieren?
Warum sollten die Dokumente aus dem Safe nicht verwertbar sein? Begründung? Darf sich der Zuschauer selbst ausdenken.
Was will der PVB mit der MP 5 als Adam schon mit Handfesseln fixiert ist? Leute, Leute!
Der Kommissar weiß, es ist eine Cam, glotzt aber ganz auffällig an die Decke, damit ihn der Beobachter auch sieht.
Und dann noch eine Diszi wegen Entzug. Ooch, nee ...
Wann gibt es mal wieder einen guten Krimi aus Saarbrücken?
violettagetyourgun
#1.1 — vor 4 MonatenMein Name ist Beckmesser, Sixtus Beckmesser !
Kleiner Tip : auf " Aktenzeichen XY ungelöst " umsteigen !
Liebling der Zensur II
#2 — vor 4 MonatenZugegeben, die ersten 15 Minuten war ich misstrauisch. Alles unbekannte Leute.
Sonst ist da Freddy mit 'nem Straßenkreuzer, Bibi mit ihrer geliehenen Zuhälterkarre, Professor Boerne voll des Eigenlobs und all die anderen mittlerweile zu Freunden gewordenen Darsteller. Aber heute?
Nein, mein Misstrauen war unberechtigt. Auch die Muffelländer können Krimi.
Besonders das mit dem Giftfrosch hat mir gefallen.
Und das rauhe Leben im Knast, wo Männer noch echte Männer sind.
Es war spannend. Und auch menschlich. Was kümmern Dienstvorschriften, wenn es um einen Kumpel geht?
Genau so hab ich auch gearbeitet, als ich noch gearbeitet habe.
Mehr davon! Ich freu mich drauf...
Sumtina
#2.1 — vor 4 Monatenja finde ich auch, bin ganz begeistert.
DoraD
#3 — vor 4 MonatenFurchtbar anstrengend anzusehen.
Spannung kam z. B. rein, als die Familiengeschichte mit dem Raub näher erläutert wurde und auch, als gezeigt wurde, wie sich die Gewalttaten in der Kindheit emotional ausgewirkt haben.
Aber es war zu wenig Spannung.
DeeSnider
#3.1 — vor 4 MonatenWie definieren Sie für sich Spannung?
Spannung entsteht für mich nicht durch Erläuterung von Hintergründen oder Schildern der Auswirkungen vergangener Dinge auf das Heute. Das ist für mich die Auflösung des Rätsels, also der Abbau von Spannung.
Ich empfinde Spannung, wenn ungewiss und angespannt darauf warte, wie eine brenzlige Situation aufgelöst werden wird, ob es gut oder weniger gut ausgeht.
Menschen sind offenbar verschieden.
anderszorn
#4 — vor 4 MonatenSchon wieder ein Gift, dass willen- und wehrlos macht und einen Mord begehen lässt. Das hatten wir letztes Wochenende erst. Ein wenig Abgleich könnte das Erste ja mal vornehmen.
Ansonsten nicht schlecht, Action, Spannung, Knastmilieu, korrupter Anwalt, alles was ein Krimi braucht.
Allerdings die alte Geschichte mit dem Vater muss jetzt mal ausgedient haben, für weitere Folgen hält die nicht mehr her.
Und ein Mund-Nasenschutz ( ! )zwar nicht wegen Corona , aber ein Anfang !
Waren die Geldscheine am Ende nicht zu neu?
müsste Musik sein
#4.1 — vor 4 Monaten"Schon wieder ein Gift, dass willen- und wehrlos macht und einen Mord begehen lässt. Das hatten wir letztes Wochenende erst."
Wahrscheinlich hat man diese beiden ähnlichen Fälle bewusst "gruppiert". Ich vermute mal, dass Münster die größere Lobby hat und dieser TO aufgrunddessen zuerst gesendet wurde, falls der eine oder andere Zuschauer ob der ähnlichen Thematik wie in der vergangenen Woche doch aus Langeweile abgeschaltet hat.