Vielleicht muss man gleich bei der Rechtfertigung beginnen, um nicht in der Endlosigkeit von etwas zu landen, was viel eher ein Austausch von Wahrnehmungen als eine offene Debatte ist. Nachdem am Mittwoch die Süddeutsche Zeitung in ihrer Feiertagsausgabe eine Karikatur veröffentlicht hatte, die nicht zuletzt von Jüdinnen und jüdischen Institutionen antisemitisch genannt und nicht nur von ihnen in die Reihe weiterer mutmaßlich antisemitischer Karikaturen in der Zeitung gestellt wurde, veröffentlichte das Blatt am Donnerstag eine kurze Stellungnahme bei Twitter. Die Zeichnung sei lediglich die "zeichnerische Umsetzung der Fernsehbilder". Man könnte auch selbstständig ergänzen: lediglich eine – ganz im Sinne der Kunstform – zuspitzende und im wahrsten Wortsinn überzeichnende Ableitung dessen, was ja ohne Zweifel real war.
Oder hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht übergroß auf der Leinwand vor dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesprochen, wie es die Karikatur in genregemäß groben Strichen darstellt? Mit ihr habe man, so schreibt die SZ, demzufolge lediglich zum Ausdruck bringen wollen, "wie dominierend das Thema Ukraine dort ist".
Nun
ist der ukrainische Präsident bekanntermaßen Jude und in Deutschland wiederum
gibt es eine bekanntermaßen schwierige Tradition, jüdische Menschen als grimmige Überfiguren darzustellen. Noch dazu, wenn sie im Zusammenhang mit einem Forum der Weltwirtschaft auftreten: dass Juden deren Fäden angeblich im Verborgenen halten, ist eine zentrale antisemitische Verschwörungstheorie im Kapitalismus. Trotzdem stimmt natürlich auch
das: Die Karikatur ist grundsätzlich eine vergröbernde und in dieser Art auch
diskriminierende Kunstform, sie geht notwendigerweise auf äußere Merkmale von Menschen
ein, um mit deren Überzeichnung etwas über deren Sein oder Handeln auszusagen.
Von Helmut Kohl als Birne (Bodyshaming) bis zu Donald Trump als Comic-Ente (Entmenschlichung) haben sich dabei schon andere Macht- und Herrschaftsfiguren deftigen gezeichneten Spott gefallen lassen müssen. Und dort, wo dieser Spott wiederum ausbleibt, kann man sich der autoritären Verhältnisse im Staat sehr sicher sein. Gerade in ihrer Grobheit bleibt die ungehinderte Veröffentlichung von Karikaturen, so kritisch man der Form auch gegenüberstehen mag, ein Prüfstein der Kunst- und Meinungsfreiheit in einem Land.
Erste Einwände gegen diese Lesart des aktuellen Falls lassen sich relativ schnell ausräumen: dass Selenskyj in Deutschland gar keine Macht hat und dass hier aus sicherer Ferne ein in seinem Land militärisch oft Ohnmächtiger als Allmächtiger dargestellt wird, genau diese Disproportionalität muss man bei Karikaturen ertragen. Zugleich kann man dem ukrainischen Präsidenten in dieser Form internationale Medienmacht bescheinigen. Von den Grammys bis zum Bundestag, von Großdemonstrationen bis hin zum Weltwirtschaftsforum – es gibt ja gerade kaum ein bedeutsameres Publikum, dem Selenskyj nicht den Krieg in seinem Land erklärt; in eindringlichen, scharfen Worten, von großen Leinwänden herunter. Das mal zum Thema zu machen ebenso wie die Allgegenwart von Putins Angriffskrieg in der europäischen Politik und den hiesigen Medien in diesem Jahr, das ist ja nicht falsch. Der Krieg in der Ukraine beherrscht alle politischen und wirtschaftlichen Diskussionen und das offensichtlich zu Recht: wegen der Grausamkeit und Illegitimität des russischen Vorgehens, wegen der geopolitischen Folgen dieses Krieges und auch wegen der Angst mancherorts, dass dieser Krieg sich noch ausweiten könnte.
Ob
der SZ-Karikaturist das alles auch so sieht, wird aus seiner Zeichnung nicht
ersichtlich. Man kann sich auch immer noch fragen, ob eine dem geopolitischen
Sachstand adäquatere Darstellungsweise in einer Karikatur nicht wäre, den
vielen kleinen Menschen in Selenskyjs Publikum viele kleine Putins in den
Rücken zu zeichnen, die ihnen eine Pistole ins Kreuz drücken. Da sind wir dann
aber schon wieder bei der Freiheit der (komischen) Kunst: Diese Idee ist
vielleicht in geschriebenen Worten einleuchtend, für den gezeichneten Witz ist
sie aber schon eine Wendung zu viel. Sie trifft zwei aufeinanderfolgende
Aussagen, eine Karikatur muss aber in einem bildhaften Moment wirken. Nicht
zuletzt deshalb genießen Karikaturistinnen und Karikaturisten in großen
Redaktionen auch große Freiheiten. Sie setzen keine redaktionellen Ideen ins
Bild, sondern haben eigene künstlerische und politische.
Kommentare
Joern.R
#1 — vor 1 MonatIch frage mich wirklich allen Ernstes, was daran antisemitisch sein soll.
Satire, zu welcher Karikaturen mit zählen, arbeitet unter Anderem mit dem Mittel der Überzeichnung, der Überspitzung; in diesem Fall mit einer Karikatur, welche eine Dominanz des Themas Ukraine-Kriegs auf dem Weltwirtwirtschaftsforum zum Thema hat.
"Und zwar nicht dadurch, dass in der Zeichnung bei Selenskyj vorhandene körperliche Merkmale verstärkt wurden, um ihn gleichsam noch kenntlicher zu machen. Sondern durch den Rekurs auf Stereotype, die Jüdinnen und Juden in der antisemitischen Tradition bestimmte körperliche Merkmale und übergroße Machtpositionen andichten."
Es wäre wohl antisemitisch, wenn nur Juden diese bestimmten körperlichen Merkmale aufweisen würden, wenn per se zudem jüdischgläubigen Menschen bestimmte angebliche Merkmale wie eine Hakennase - aus der NS-Zeit noch bestens bekannt - dominierend dargestellt wäre, also bereits bekannte zeichnerische Herabwürdigungen mit benutzt worden wären.
Also müßten in Zukunft alle "großrahmiger" gebaute Menschen in Karikaturen verschlankt werden, das wäre die Konsequenz. Vielleicht sollten die Urheber dieser vollkommen unnützen Diskussion aber erstmal überlegen, welche neue Blüte einer falsch verstandenen political correctness sie (wieder) ausgetrieben haben.
jsmock
#1.1 — vor 1 Monat"Es wäre wohl antisemitisch, wenn nur Juden diese bestimmten körperlichen Merkmale aufweisen würden, wenn per se zudem jüdischgläubigen Menschen bestimmte angebliche Merkmale wie eine Hakennase - aus der NS-Zeit noch bestens bekannt - dominierend dargestellt wäre, also bereits bekannte zeichnerische Herabwürdigungen mit benutzt worden wären."
Genau diese Karikaturen ("Hakennase") haben Tradition in der SZ und es ist nicht das erste Mal, dass die Zeitung dadurch auffällt (https://www.tagesspiegel.de/…)
Sepperl Meier
#2 — vor 1 MonatIch hab sofort an die typischen alten Juden-Vorurteile gedacht, die lange Nase, der gierige Blick, das Händereiben - wer das nicht wahrnimmt, hat offenbar gar keine Ahnung.
Die Karikatur ist halt der Versuch der öffentlichen Delegitimation, in dem man altbekannte Saiten der jüd. Vorurteile anspielt. (Im Stile von: na, irgendwas wird schon dran sein bei den Juden, oder? jetzt müssen wir ständig einen im Fernsehen sehen, welch Zumutung!)
Insgesamt finde ich die Situation auch als völlig ungeeignet für eine Karikatur - würde man ein Vergewaltigungsopfer, Mobbingopfer oder Verletzten so darstellen? Es ist ein Wunder, dass der Präsident nicht schon längst Tod ist, da ist sowas wirklich würdelos.
(Man darf das natürlich veröffentlichen, muss aber auch mit dem entsprechenden Feedback und Kopfschütteln rechnen)
Fritz von Assisi
#2.1 — vor 1 MonatRelax
dth
#3 — vor 1 MonatNaja, man hätte ihn vielleicht etwas weniger hässlich zeichnen können und den Gesichtsausdruck weniger aggressiv. Das gibt ja nun nicht das Fernsehbild wieder, ist aber vielleicht der Stil des Zeichners. Man sollte das jetzt auch nicht überinterpretieren.
Oezdu
#3.1 — vor 1 MonatMich erinnert es etwas an die Darstelling von Juden im dritten Reich. Antisemitismus greift in den Mainstream-Medien immer mehr um sich: das ZDF z.B. berichtete über ein Terroranschlag eines Palästinsers mit "Palästinenser in Israel erschossen". Die Deutsche Welle berichtete jüngst zur Grünsung Israels "Die Palästinenser gedenken des Gründungstags Israels dagegen als ‚Nakba’ (Katastrophe), weil mehr als 700.000 Menschen infolge der israelischen Staatsgründung fliehen mussten oder vertrieben wurden.“- ohne ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren, dass Israel zuvor von einer Gruppe arabischer Staaten angegriffen wurde und im Anschluss an den Angriffskrieg eine ähnliche Anzahl Israelis von arabischen Nachbartstaaten vertrieben wurde.
Nur woher kommt der neue Antisemitismus in unseren rotgrünen Leitmedien?
Menschenwürge
#4 — vor 1 MonatEine ekelhaft antisemitisch rassistische Karikatur! Als ich diese gesehen habe fühle ich mich an ganz dunkle Zeiten erinnert. Es zerreisst mich, dass in der heutigen Zeit noch immer der Rassismus uns Menschen trennt, es zerreisst mich.
Urtir
#4.1 — vor 1 MonatBitte erklären Sie es. Wo in den dunklen Zeiten wurden Juden so dargestellt?