"Was wollen wir?" Die Frage aus dem Lautsprecherwagen hallt von den Häusern der Haupteinkaufsstraße Hamburgs wider. "Schulreform!" rufen die demonstrierenden Schüler entschlossen zurück, reißen dazu die Arme in die Luft, pfeifen und jubeln.
Die meisten von ihnen sind aber noch nicht alt genug, um am 18. Juli im Rahmen eines Volksentscheids zwischen den Forderungen zweier Initiativen – für oder gegen die umstrittene Schulreform – zu wählen.
Die Schüler auf der Straße befürworten die Ziele der Reform, die mehr Gerechtigkeit für weniger privilegierte Schüler und individuelleres Lernen verspricht. In beiden weiterführenden Schulen, sowohl auf der Stadtteilschule, die Haupt- und Realschule ersetzt, als auch auf dem Gymnasium, sollen die Schüler das Abitur machen können. Gegenstand des Volksentscheids ist der Teil der Reform, der ein längeres gemeinsames Lernen in einer sechsjährigen Primarschule anstelle der vierjährigen Grundschule vorsieht.
Schätzungen der Organisatoren zufolge waren rund 5000 Schüler gekommen. Der Demozug endete auf dem Jungfernstieg, wo die Stimmung eindeutig war: Die Schüler haben gezeigt, dass ihre Meinung zählt. Auf einer kleinen Bühne schreit der Vorsitzende der SchülerInnen Kammer, Frederic Rupprecht, ins Mikrofon: "Da können die Medien schreiben und die Eltern erzählen, was sie wollen. Wir sind die Schüler, uns betrifft das Schulsystem. Nur wir wissen, wie dieses aussehen muss und deswegen sind wir heute so zahlreich für die Reform auf die Straße gegangen."
Rupprecht sagt außerdem: "Es ist nicht nur eine Strukturveränderung. Es ändert sich etwas im Unterricht für jeden von uns. Wir werden zum Beispiel viel kleinere Klassen haben, höchstens 23 Schüler in einer Klasse, in sozialen Brennpunkten sogar nur 19."
Auf der Facebook-Seite der Schulverbesserer-Demonstration tauschen die Schüler ihre Argumente aus. Julian schreibt beispielsweise "Längeres gemeinsames Lernen ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Sechs Jahre sind besser als vier! ... Wir sind so eine moderne Stadt, da brauchen wir auch ein soziales Bildungssystem!"
Während die Gewinner eines Schulband-Wettbewerbs spielen, verwandelt sich der sonst so viel befahrene Jungfernstieg in einen großen und friedlichen Schulhof. Schüler aller Altersstufen sitzen in der Sonne, viele von ihnen tragen die roten T-Shirts der "Schulverbesserer".
Kommentare
morgenrot
#1 — 4. Juni 2010, 14:30 UhrDie Rote, Blaue, Orange...
und nun noch eine Rosa Revolution. Wer blos bezahlt hier immer die Propagandamaterialien, in diesem konkreten Fall die rosa Kartonschachteln, die roten T-Shirts und Plakate?
Wer bezahlt befielt im allgemeinen. Wer war das hier?
AlexB1985
#2 — 4. Juni 2010, 14:35 UhrSuper
Ich finds super, dass sich die Schülerinnen und Schüler so lautstark für ihre Belange artikulieren und einen Kontrapunkt zu den protestierenden Eltern setzen. Die Schülerinnen und Schüler sind tagtäglich in der Schule, die Schulzeit der Eltern ist schon ein paar Jahre Vergangenheit. Ich finde es immer wieder spannend, wie viele meinen, sich zu Schule und Bildung äußern zu können, weil ja jeder mal in der Schule war und deswegen per se Ahnung vom Innenleben und aktuellen Entwicklungen hat. Aber ich sage ja auch nichts über die Technik des Brotbackens, weil ich Sonntags zum Bäcker gehe..
Infamia
#2.1 — 4. Juni 2010, 14:49 UhrDie Mittelschicht hat Angst vor dem Abstieg
"Ich finds super, dass sich die Schülerinnen und Schüler so lautstark für ihre Belange artikulieren und einen Kontrapunkt zu den protestierenden Eltern setzen."
Finde ich auch. Leider handelt es sich bei "den protestierenden Eltern" überwiegend um Eltern mit Geld und Macht aus dem Speckgürtel Hamburgs westlich der Elbe, die nicht möchten, dass ihr wohlbehütetes Benjaminchen und Larachen, welche allmorgendlich im gut gepolsterten SUV zur Schule chauffiert werden demnächst in Konkurrenz zu Tarek und Özlem um einen Studienplatz stehen. Man möchte einfach unter sich bleiben und die Chancen für Benjaminchen und Larachen nicht dadurch gefährdet sehen, dass plötzlich Tarek und Özlem auch in der Lage sind, einen Studienplatz zu besetzen.
Auf deren Plakaten müsste eigentlich stehen, "Wir wollen GETRENNT lernen", statt "Wir wollen lernen", was impliziert, dass das die Seite der Befürworter einer längst überfälligen Schulreform nicht wollen. Statt dies mit dem Status Quo zu begründen, das Niveau würde mangels Geld sinken, sollten sie lieber für mehr Geld in der Bildung kämpfen, damit das Niveau demnächst für alle steigt, statt nur hoch für die "Betuchten" ist. Denn das würde uns weiterhin drohen und das kann dieses Land nicht wollen.
johaupt
#3 — 4. Juni 2010, 14:52 UhrGute Sache...
... und mal ein Protest der nicht ungehört verhallen wird, da die Hamburger (gegen den erbitterten Widerstand der konservativen Demokratiefeinde in der CDU) eine Volksgesetzgebung haben, die wenigstens ansatzweise diesen Namen zu Recht trägt und zumindest Volksentscheide und Begehren erlaubt.
Neudeutsch
#4 — 4. Juni 2010, 15:22 UhrImmer gemeinsam
Natürlich, vom Förderschüler bis zum Gymnasisasten alle in eine Klasse, noch besser gleich bis Klasse 10. 30 Schüler, ein Lehrer, der dann individuell einen jeden fördern soll. Macht mal ihr Hamburger, in einigen Jahren schaun wir dann mal was dabei rausgekommen ist.
johanna redlich
#4.1 — 4. Juni 2010, 15:36 UhrVorschlag:
Die rosaroten Schüler wandern weiter nach Berlin, um sich umzuschauen, wie ihre rosaroten Schulträume in der Realität ausschauen. Tarek und Özlem bleiben zu Hause und lernen, sie haben die PISA-Studie gelesen und wissen, das ihnen Grundschulzeitverlängerungen überhaupt nichts bringen.